Zwei Zwerge und ein großes Ei
Zwei Zwerge und ein großes Ei von Johannes Thiel
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So hat die Geschichte angefangen: Zwei Zwerge sind einmal spazieren gegangen |
Und sahn auf der Wiese ein großes Ei. Da sind sie aber gelaufen, die zwei! |
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Denn sie hatten noch nie ein so großes gesehen. Sie haben probiert, es umzudrehen,, |
und strengten sich an und mühten sich sehr, denn das große Ei war natürlich schwer |
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Aber sie sagten: ,,Wir müssen es zwingen! Wir wollen das Ei zum Osterhas bringen. |
Der malt’s uns mit lustigen Farben an. dann haben wir unsere Freude dran!“ |
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Und sie schoben und hoben mit aller Macht Und haben das Ei zum Stehen gebracht, |
und als es stand – so ist es mit allem – da ist es gleich wieder umgefallen. |
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Es hätte den einen bald tot gedrückt, er ist aber gerade noch ausgerückt |
und hat sich von vorne dagegen gestemmt und den anderen unter das Ei geklemmt. |
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Das konnte dem anderen aber nicht passen. Er hat das Ei einfach losgelassen, |
es kam ins Rutschen und kugelte munter mit den beiden Zwergen den Abhang hinunter |
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,,Der Strauch hier hat es noch aufgefangen,“ sagt Hans, ,,sonst wär’es entzweigegangen, |
Wie konntest du auch so ungeschickt sein?“ Der Franz aber schweigt und befühlt sein Bein. |
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Auf ebener Straße rollt sich das Ei Ganz leicht und schnell. Da lachen die Zwei. |
Sie erschrecken den armen Käfer von hinten, er wird aber schleunigst im Grase verschwinden. |
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Der Maler Osterhaus schaut aus dem Haus mit seiner langen Pfeife heraus. | Da hört er Gerappel, steht auf uns spricht: ,,Ein Auto ist das mal sicher nicht!“ |
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Und wie er herauskommt, um nachzusehen da sieht er die Zwerge schon draußen stehen, |
mit dem riesen Ei. Und die kleinen Wichte erzählen dem Hasen die ganze Geschichte |
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und sagen zum Schluss: ,,Du sollst es bemalen. Wir kommen dann nächste Woche bezahlen.“- |
,,Sehr gern, meine Herrn,“ sagt der Malers mann – vielmehr der Hase – und fängt gleich an. |
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Dabei erzählt er ,, Die Alten malten…“ Da! … Hans hat schon wieder nicht festgehalten, |
und Franz, der kann es auch nicht allein. Das Ei drückt ihn ganz in das Gras hinein. |
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und drückt ihn, wer weiß wie sehr, auf dem Rücken. Man sieht ihn verzagt nach hinten blicken. |
Der Malers mann ist das einerlei; er bemalt mit Seelenruhe das Ei. |
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Von weitem aber sieht der Hahn das Ei und den Maler bedenklich an, |
und wie er noch hin und her überlegt, sagt die große Henne: ,,Ich hab’es doch gelegt.“ |
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,,Was?“ sagt der Hahn, ,,also hat er es gestohlen! Ich werde es mir aber wieder holen. |
Ich fürchte mich doch nicht vor dem Malerhasen.“ Schon sieht man den Hahn zu dem Maler rasen. |
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Wie er ankommt, kräht er den Hasen an: ,,Das ist mein Ei, verehrter Malers mann! |
Du willst es nur für die Zwerge bemalen? Dann sollen die Zwerge es mir bezahlen!“ |
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Jetzt haben die Gänse auch angefangen: ,,Wir alleine haben das Ei zu verlangen. |
Was will den der Hahn, dieser alte Schreier? Seit wann legen Hühner so große Eier!“ |
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,,Die Hühner nicht, aber wir schon eher,“ quakten die Enten und wackelten näher. |
,,Uns gehört das Ei, aber euch mitnichten. Wir denken nicht dran, auf das Ei zu verzichten.“ |
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Nun fürchtet ein Hahn sich bekanntlich nie Vor einem anderen Federvieh. |
Er sagte ganz ruhig: ,,Ihr dummen Gaken, hört auf mit dem Schnattern und mit dem Quaken!“ |
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Da beschlossen die größten Gänse zu vieren, mutig gegen den Hahn zu marschieren, |
die kleineren aber, so geht die Kunde, hielten sich lieber im Hintergrunde. |
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Schon kommen die Hennen von Zorn entbrannt ihrem tapferen Hahn zu Hilfe gerannt. |
Sie waren vor Gänsen und Enten nicht bange, und bald war die Rauferei im Gange. |
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Auf einmal kommt auch der Fuchs heran, verkleidet als braver Schupo mann, |
aber alle haben den Räuber erkannt und sind sehr eilig davon gerannt. |
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Der Fuchs denkt: ,,Das ist mir gar nicht recht. Hühner und Gänse schmecken nicht schlecht. |
Wenn ich den Hasen erwische indessen, habe‘ ich doch noch ein guter Abendessen.“ |
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Da hatte er aber unbedacht Seine Rechnung ohne die Zwerge gemacht |
Mit einem Knüppel springt Franz auf ihn los; und woher hat der Hans seine Flinte bloß? |
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,,Mit den beiden lass ich mich lieber nicht ein,“ denkt der Fuchs und läuft in den Wald hinein. |
Da lachen die Zwerge: ,,Du Bösewicht! Lass dich nicht mehr erwischen! Wir fürchten dich nicht.“ |
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Und sie liefen zum Hasen, um ihm zu erklären, was sie für tapfere Helden wären. | Der war ganz erstaunt, denn es weiß jedes Kind, dass Hasen nicht gerade sehr mutig sind. |
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Und zum Dank für die Rettung aus Lebensgefahr Malt er das Ei so wunderbar! |
Selbst Enten und Gänse und Hennen und Hahn sehen es voller Bewunderung an. |
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Sie gönnen den tapferen Zwergen das Ei. Da – auf einmal brach oben die Schale entzwei. |
Der Hase erstaunt und auch Fränzchen und Hänschen, denn aus dem Ei kam ein kleines Gänschen. |
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Gleich sagt die Ente zum Gänse frau: ,,Das Kleine gleicht Ihnen ganz genau!“ |
Aber der Hase erklärt der Henne, dass man dies nicht behaupten könne. |
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Dem Hans und dem Franz ist das einerlei. Sie beweinen ihr herrliches Osterei. |
Der Osterhase bedauert und spricht: ,,Also nächste Woche – vergessen Sie nicht!“ |
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,,Ja, wenn wir es doch bezahlen sollen, dann können wir es auch nach Hause rollen. |
Es kam zu Ostern im Garten stehen mit Blumen darin. Das wird fein aussehen!“ |
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So trösten sie sich und nähern sich bald der Straßenecke am Eichenwald |
und sehen den Fuchs nicht, der hinter dem Baum schon lauert und plötzlich – man glaubt es kaum – |
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dem Hans und dem Franz entgegen springt und einen mächtigen Säbel schwingt. |
Die aber behielten die Köpfe oben. Sie haben das Ei in die Höhe gehoben |
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und stülpten dem Fuchs es über den Kopf. Da saß er drinnen, der böse Tropf, |
und musste gar nicht, wie ihm geschehen, und konnte den Wald und die Zwerge nicht sehen |
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und sprang herum und schlug um sich und gebärdete sich ganz jämmerlich; |
und Hans und Franz, die sahen in Ruh‘ mit Händeklatschen dem Tanze zu. |
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Aber endlich hatte der Fuchs sich befreit. Da sagte der Hans: ,,Du, Franz, es ist Zeit, |
dass ich allmählich verschwinde mit dir. Ich habe nämlich die Flinte nicht hier.“ |
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Der Fuchs ging dann auch in seinem Bau. Da zankte noch stundenlang seine Frau |
und lachte ihn aus, und die Fuchsen kinder schauten erstaunt auf den alten Günder. – |
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Als man am nächsten Morgen um acht dem Osterhasen die Zeitung gebracht, |
las er und rauchte, und seine Kinder dachten ans Frühstück. Er selbst nicht minder. |
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,,Guten Morgen, Herr Has.“ – ,,Guten Morgen, Frau Huhn.“ ,,Ach, könnten Sie mir den Gefallen tun |
und die Eier bemalen für mich und die Bas?“ ,,Aber gern, Frau Huhn.“ – ,,Vielen Dank, Herr Has.“ |
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Frau Huhn war gerade erst fortgegangen, da hat Herr Has einen Brief empfangen, |
Den Briefträger hat er nicht angesehen. Hätt‘ er’s lieber getan! Wir werden ja sehen. |
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Der Brief war gar nicht von Hans und Franz! Der Fuchs hat ihn selbst geschrieben und ganz |
Voll Bosheit und Arglist bei sich gedacht: ,,Wenn der Osterhase die Dummheit macht |
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und schickt die Eier durch seine kleinen, | den Mar und die Gusi, so sollte ich meinen, |
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Ich erwische sie an der Zwergheimer Straße. | Dann gibt es Hafenbraten zum Fraße.“ |
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Es wäre dem Fuchs auch beinahe gelungen. Die Kleinen sind grad noch davon gesprungen. |
Der Fuchs lief nach und rief: ,,Ihr Rangen! Passt auf, ich werde euch doch noch fangen!“ |
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Er ist schneller gelaufen als Max und Gusi, und grade denkt er: ,,Aha jetzt, kriegst du sie!“ |
Aber der Wächter der Zwergenstadt, der vom Turm her alles gesehen hat, |
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ist mit vielen Zwergen gelaufen gekommen; und Knüppel hatten sie mitgenommen. |
Der Fuchs war im Rennen und konnt‘ nicht mehr wenden und musste deshalb sein Leben beenden. |
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Jetzt hat sich freilich herausgestellt, dass Hans und Franz keine Eier bestellt, |
aber sie kriegten sie dennoch geschenkt. Das war recht billig, wenn man’s bedenkt. |
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,,Das gelbe Ei ist für mich,“ sagt Hans. ,,Das blaue hier nehme ich,“ meint Franz. |
,,Gestern hatten wir nur das eine, aber heute hat jeder das seine.“ |
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Der Hans und der Franz sie spannten dann ihre Ziege vor einen Wagen an, |
auf den Wagen legten die Zwerge den Fuchs, und Max und Gusi setzten sich flugs |
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auf dem Bock. Dann fuhren sie lustig nach Haus. – Aus dem Walde kamen die Tiere heraus |
und sagten: ,,Der Fuchs war ein böser Gesell, aber die Strafe ereilte ihn schnell.“ – |
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,,Der Max und die Gusi sind aufgefressen!“ So weinte die Häsin. Der Vater indessen |
erwidert mit Ruhe und Zuversicht: ,,Das glaube ich nicht! Das glaube ich nicht!“ |
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Und Gänse und Enten und Hennen und Huhn, die stellten in langer Reihe sich an. |
,,Das sollte mich wirklich wundernehmen, wenn der Max und die Gusi nicht wieder kämen.“ |
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So sagte der Hahn. ,,Wir bleiben hier stehen. Hier kann man die Gegend gut übersehen.“ |
Auf einmal kräht er: ,,Kikeriki! Ich hab’s ja gesagt! Da kommen sie!“ |
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Und Gänse und Enten und Huhn und Hennen, die rennen und rennen und rennen und rennen, |
auch Hase und Häsin und Hasenkind, wie sie nie im Leben gelaufen sind! |
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Das war ein Umarmen und Herzen und Küssen! Der Hans und der Franz haben zusehen müssen. |
Und der Hans zerrt am Arme den Hasenpapa und schreit immer wieder: ,,Schau doch mal! Da!!“ |
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Aber der Osterhase hört ihn kaum. Da fuhren die Zwerge zum einsamen Baum |
im Felde und haben den Fuchs begraben. Man sagt, dass die Raben geholfen haben. |
Mit freundlicher Genehmigung des ©Verlags Herder, Freiburg im Breisgau. Die erste Auslieferung war am 5. März 1928.